Eine Architektin zwischen Tradition und Moderne

Die Brückenbauerin der afrikanischen Architektur
In der pulsierenden Metropole Lagos entwickelt Tosin Oshinowo eine Architektursprache, die afrikanische Traditionen mit zeitgenössischem Design verbindet. Als Gründerin von Oshinowo Studio und eine der einflussreichsten Stimmen der afrikanischen Architekturszene steht sie für einen Ansatz, der lokale Bautraditionen, klimagerechtes Design und moderne Funktionalität vereint. Ihre Arbeit zeigt exemplarisch, wie eine neue Generation afrikanischer Architektinnen die gebaute Umwelt des Kontinents neu definiert und dabei globale Aufmerksamkeit erregt.

Von Lagos über London zurück nach Nigeria
Tosin Oshinowos Weg zur Architektur ist geprägt von internationalen Einflüssen und der tiefen Verwurzelung in ihrer nigerianischen Heimat. Geboren und aufgewachsen in Lagos, studierte sie Architektur an der renommierten Architecture Association in London. Die Jahre in Europa ermöglichten ihr einen distanzierten Blick auf die architektonischen Herausforderungen ihrer Heimat. Nach Stationen bei führenden internationalen Architekturbüros kehrte sie 2009 nach Nigeria zurück und gründete 2013 ihr eigenes Büro. Diese Entscheidung fiel in eine Zeit, als Lagos sich in einer Phase rasanter Urbanisierung befand – eine Herausforderung, die sie als Chance begriff.

Eine neue Vision für afrikanische Architektur
Tosin Oshinowos architektonische Philosophie basiert auf dem Konzept des "klimagerechten Modernismus". Sie versteht die traditionelle afrikanische Architektur als Quelle zeitloser Lösungen für klimatische Herausforderungen. Ihre Projekte integrieren traditionelle Elemente wie natürliche Ventilation, Verschattung und lokale Materialien in eine moderne Formensprache. Der Adidas Flagship Store in Lagos exemplifiziert diesen Ansatz perfekt: Die charakteristische Fassade kombiniert lokale Materialien mit einer innovativen Verschattungslösung, die von traditionellen afrikanischen Webmustern inspiriert ist. Die offene, luftige Raumgestaltung schafft nicht nur ein angenehmes Einkaufserlebnis, sondern reduziert auch den Energieverbrauch deutlich. Das Projekt zeigt eindrucksvoll, wie internationale Retail-Architektur mit lokalem Kontext und Klimaanpassung verschmelzen kann.

Innovation im sozialen Wohnungsbau
Besonders bemerkenswert ist Tosin Oshinowos Engagement im sozialen Wohnungsbau. Das Ngarannam Projekt zeigt, wie qualitätvoller, bezahlbarer Wohnraum in Nigeria aussehen kann. Die Siedlung verbindet traditionelle Courtyard-Typologien mit modernen Bautechniken und schafft so Wohnungen, die sowohl kulturell angemessen als auch erschwinglich sind. Die Integration von Gemeinschaftsräumen und flexiblen Nutzungsmöglichkeiten spiegelt das traditionelle afrikanische Verständnis von Wohnen als gemeinschaftliche Aktivität wider.

Nachhaltigkeit als kulturelles Erbe
Für Tosin Oshinowo ist Nachhaltigkeit keine westliche Importware, sondern tief in der afrikanischen Baukultur verwurzelt. Das Lantern House in Lagos demonstriert eindrucksvoll ihre Herangehensweise an klimagerechtes Bauen. Der Entwurf nutzt geschickt die natürliche Ventilation durch eine durchlässige Fassadengestaltung und großzügige Öffnungen, die an traditionelle afrikanische Bauweisen erinnern. Die markante Dachkonstruktion minimiert die direkte Sonneneinstrahlung und schafft gleichzeitig charakteristische Licht- und Schattenspiele im Inneren. Das Projekt zeigt exemplarisch, wie moderne Architektur in Lagos auf klimatische Herausforderungen reagieren kann, ohne auf energieintensive technische Lösungen zurückgreifen zu müssen. Die Verwendung lokaler Materialien und Handwerkstechniken unterstreicht dabei Tosin Oshinowos Ansatz, Nachhaltigkeit nicht als technologische, sondern als kulturelle Aufgabe zu begreifen.

Kultur als Gestaltungsprinzip
In ihren Wohnbauprojekten zeigt sich Tosin Oshinowos besonderes Talent, kulturelle Identität in zeitgenössische Architektur zu übersetzen. Ihre Entwürfe interpretieren lokale Bautraditionen neu, ohne in folkloristische Klischees zu verfallen. Die offenen Raumstrukturen, die durchdachte Verwendung lokaler Materialien und die Integration von Kunsthandwerk schaffen eine Architektur, die gleichzeitig modern und kulturell verwurzelt ist. Ihre Projekte werden international als wegweisende Beispiele für eine neue afrikanische Moderne wahrgenommen.

Visionärin der afrikanischen Stadtentwicklung
Tosin Oshinowo engagiert sich über ihre Bauprojekte hinaus für eine nachhaltige Entwicklung afrikanischer Städte. Als gefragte Rednerin und Autorin thematisiert sie die Herausforderungen der rapiden Urbanisierung Afrikas. Ihre Projekte und ihr Engagement zeigen ihre Vision einer afrikanischen Stadt des 21. Jahrhunderts: verdichtet, aber lebenswert, modern, aber kulturell verwurzelt, global vernetzt, aber lokal verankert.

Ihr Werk inspiriert eine neue Generation afrikanischer Architektinnen und Architekten. Als Mentorin und Dozentin gibt sie ihr Wissen weiter und ermutigt besonders junge Frauen, in der Architektur Fuß zu fassen. Ihre Projekte beweisen, dass afrikanische Architektur nicht zwischen Tradition und Moderne wählen muss, sondern aus beiden Quellen schöpfen kann. In einer Zeit, in der Afrika sich rasant urbanisiert, zeigt Tosin Oshinowo einen Weg, wie diese Entwicklung nachhaltig und kulturell authentisch gestaltet werden kann.

 

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