Die menschliche Begegnung bleibt wichtig

Der ETH-Architekt und Designer Stephan Hürlemann hat in seiner bisherigen Karriere viel erreicht. Grosse Architekturprojekte, Designentwürfe für namhafte Unternehmen wie vitra oder de Sede, Installationen wie «Piece of Sky» für Sky-Frame. Nun, in einer Zeit grosser Krisen, möchte Stephan Hürlemann mehr bewirken. Neu arbeitet er in verschiedenen Kooperationen an unterschiedlichen Herzensprojekten. Wir treffen ihn in seinem Atelier in Zürich-Albisrieden.

Stephan, welche Verbindung hast Du zu Sky-Frame?

Im Jahr 2010 habe ich erstmals im Rahmen des Ausstellungs-Events «Designer Saturday» eine Installation für Sky-Frame entwickelt. Seitdem haben wir eine Vielzahl von Projekten zusammen realisiert. Dazu gehören unter anderem ein Ausstellungs- und POS-Konzept, das seit 2018 besteht, die Gestaltung der Sky-Frame eigenen Arbeitsräume sowie die Installation «A Piece of Sky».

Deine Projekte bewegen sich in vielen unterschiedlichen Disziplinen, die weit über die Architektur hinausgehen. Wo liegt der Schwerpunkt Deines Schaffens?

Angesichts der globalen Entwicklungen hat sich der Fokus meiner Arbeit in den letzten Jahren massgeblich verändert. Es ist unerlässlich, dass wir alle im Rahmen unserer individuellen Möglichkeiten aktiv werden, um eine nachhaltigere Welt zu schaffen. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, besonders zeitintensive Projekte, die keinen direkten positiven Einfluss haben, nicht mehr zu machen. So kann ich mich gezielt auf Vorhaben konzentrieren, die für mich relevant sind. Ich entwickle weiterhin Produkte und Räume. Diese sollen aber auf eine viel längere und effizientere Nutzung ausgelegt sein, Ressourcen schonen, Abfall und Emissionen vermeiden. Darüber hinaus bin ich Mitgründer eines Unternehmens geworden, das mit Hilfe digitaler Instrumente eine Art Betriebssystem für die Kreislaufwirtschaft für Hersteller von Möbeln und Produkten bereitstellt.

«Es ist unerlässlich, dass wir alle im Rahmen unserer individuellen Möglichkeiten aktiv werden, um eine nachhaltigere Welt zu schaffen.»

Du bist ursprünglich klassischer Architekt und Designer. Wie siehst du dich heute?

Ich setze meine Denkweise ein, um bessere Umgebungen zu gestalten, die unseren Alltag nachhaltig bereichern. Das kann ein Möbelstück, ein Raum, ein Nutzungskonzept für ein Gebäude oder ein neues Geschäftsmodell oder eine innovative App sein. Um die Transformation voranzutreiben müssen wir jetzt offen bleiben, Neues ausprobieren und Dinge neu denken. Auch uns selbst. Dabei ist es einfach, Probleme zu sehen – die Kunst ist es, Chancen zu erkennen.

Du hast dich auf dynamische Arbeitswelten spezialisiert. Wie kam es dazu?

Im Jahr 2016 arbeiteten wir an der Büroplanung für ein sehr progressives Unternehmen. Die Fragen, die wir damals zu beantworten hatten, erwiesen sich in den folgenden Jahren als äusserst relevant. Themen wie dynamisches Arbeiten, das papierlose Büro, alternative Arbeitsorte und hybride Meetings führten in diesem Projekt zu einem völlig neuen, wandelbaren Arbeitskonzept. Dieses Konzept nannte ich «Dancing Office», wobei der Hauptprotagonist des Systems die «Dancing Wall» war. Diese konnte ich in Zusammenarbeit mit Vitra industrialisieren und 2018 als Produkt auf den Markt bringen. Kurz darauf wurden die Entwicklungen im Bereich der Arbeitsraumgestaltung durch die Pandemie massiv beschleunigt. Alle Unternehmen waren gezwungen, dynamischer zu werden. Videokonferenzen wurden zur Normalität und das hybride Arbeiten setzte sich schlagartig durch. Das «Dancing Office»-Konzept war genau rechtzeitig bereit, um den neuen Bedürfnissen eine Antwort bieten zu können. Es ist aber nicht meine Absicht, mich auf ein einziges Thema zu spezialisieren. Vielmehr werde ich von meiner Neugier angetrieben – und von meinem Drang, Probleme zu lösen.

Was denkst du über die Zukunft von Technologien wie VR und deren gesellschaftliche Auswirkungen?

Technologische Entwicklungen haben schon immer zu sprunghaften gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Aktuell gibt es meiner Wahrnehmung nach mehrere Themenfelder mit solchem Potenzial. Dazu gehören die Blockchain-Technologie, die künstliche Intelligenz und erweiterte Realitäten wie das Metaverse,  um nur die prominentesten zu nennen. Insbesondere KI wird wahrscheinlich eine dramatische Veränderung in der Art und Weise bewirken, wie wir in Zukunft arbeiten, kommunizieren, entwerfen, schreiben und gestalten. Die grosse Herausforderung wird darin bestehen, diese Technologien positiv zu nutzen und ihre negativen Aspekte in den Griff zu bekommen.

«Ich persönlich glaube nicht, dass die reale Welt von der virtuellen Welt verdrängt wird. Vielmehr werden wir unsere Realitäten erweitern.»

Besteht die Gefahr, dass virtuelle Welten die reale Welt verdrängen?

Natürlich gibt es dystopische Visionen. Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass die reale Welt von der virtuellen Welt verdrängt wird. Vielmehr werden wir unsere Realitäten erweitern. Arbeitsmeetings, Weiterbildungsangebote und Freizeitaktivitäten werden teilweise in virtuellen Räumen stattfinden. Wir werden unsere Identität in den virtuellen Raum erweitern und eine neue Form der Selbstwahrnehmung erfahren. Auch hier ist es entscheidend, die Chancen der neuen Möglichkeiten zu erkennen und diese konstruktiv zu nutzen. 

Welche Herausforderungen siehst du in der weiteren Entwicklung von virtuellen Welten und Arbeitsräumen?

Die Frage, wie virtuelle Räume gestaltet werden sollten, beschäftigt mich seit einigen Jahren. Anfangs wurden diese Räume von Software-Entwicklern gestaltet, da sie über die notwendigen technischen Fähigkeiten verfügten. Da die Gestaltung jedoch nicht im Vordergrund stand, schufen sie primär Abbilder unserer realen Welt. Hier erkenne ich grosses Gestaltungspotenzial. Wie muss ein glaubwürdiger virtueller Raum überhaupt aussehen? Gibt es dort Gravitation? Benötigen wir Treppen oder Möbel? Was braucht der Mensch, um sich in einer virtuellen Welt wohl zu fühlen? Existiert so etwas wie eine digitale Natur? Braucht die virtuelle Welt einen öffentlichen Raum und, wenn ja, was tun wir dort und wer definiert die Regeln des Zusammenlebens? Bei aller berechtigter Skepsis gegenüber neuen Technologien: Ich habe mich entschieden, diesen Themen gegenüber offen zu bleiben. Denn vielleicht kann ich sie nutzen, um unsere physische Welt zu einem schöneren Ort zu machen.

Der ETH-Architekt und Designer Stephan Hürlemann arbeitete nach seinem Studium sechs Jahre lang als Geschäftsführer mit Designer Hannes Wettstein zusammen, der ihn in die Welt des Produkt- und Möbeldesigns einführte. Nach Wettsteins Tod im Jahr 2008 hat Stephan Hürlemann sich zum kreativen Kopf der Firma entwickelt und gemeinsam mit der Architektin und Geschäftsführerin Britta Herold und der Konzepterin und Strategin Barbara Hutter das Studio neu erfunden. Bis 2023 entwickelte er mit dem Team von Studio Hürlemann viele wegweisende Architekturprojekte.

 

In den letzten 16 Jahren wurden zudem mehr als 100 Designkonzepte aus der Feder von Stephan Hürlemann realisiert. Darunter der neue Firmenhauptsitz «Implenia Connect» für Implenia, die Installation «Riesen mit Zwerg» für Horgenglarus und die «Dancing Wall», eines der erfolgreichsten Vitra-Produkte der Neuzeit.

 

Aktuell fokussiert sich Stephan Hürlemann auf Projekte, die den Wandel mitgestalten. Von der Entwicklung möglichst zirkulärer Möbel und Produkte über die Konzeption resilienter Architektur bis hin zur Mitgründung eines Climate Tech Start-ups, das eine lange und effiziente Nutzung von Produkten attraktiv machen will – auch für die herstellenden Unternehmen.