MY POINT OF VIEW #05

«Ich bin sicher, dass der Wandel hin zu einer nachhaltigen Welt in diesem Moment stattfindet.»

Stephan Hürlemann sieht Architekten und Designer in der Verantwortung – nicht nur für gutes Design, sondern auch, wenn es um die Gestaltung unserer Zukunft geht. Mit Weitsicht designt und entwickelt der Zürcher Architekt Produkte und Innenräume. Im Fokus für Hürlemann: Das Schaffen bleibender Werte.

Durch die grossen Fenster fällt unser Blick auf die Hänge des Zürcher Hausberges Uetliberg. Der ausladende Neubau, in dem wir uns befinden, liegt im angesagten Zürcher Quartier Albisrieden. Früher beschauliches Wohnviertel mit Dorf-Charakter, ist Albisrieden heute auch Heimat für junge, aufstrebende Unternehmen – so auch seit fast einem Jahr für Studio Hürlemann.

Hürlemann, arbeitete nach dem Architektur-Studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH während einigen Jahren eng an der Seite des berühmten Zürcher Designers Hannes Wettstein. Nach dessen Tod 2008 wurde er zum kreativen Kopf des Studios und erfand dieses und sich selbst neu. In den letzten 12 Jahren gelang es ihm, seine ganz eigene Sprache zu entwickeln: «Das architektonische Denken ist auch die Basis für mein Produkt- und Möbeldesign. Das zu erkennen hat mir geholfen, meinen eigenen Weg zu finden.»

Architekten und Designer können Wandel bewirken

Nebst Installationen, Möbel- und Produktdesign, sind Hürlemann und sein Studio besonders auch durch umfassende Innen-Architektur Projekte bekannt, zuletzt beispielsweise der Umbau des Haupt-Hauses der Schweizer Grossbank UBS. Doch Hürlemann denkt weiter. Seine Stirn etwas in Falten gelegt, geniesst er die Weitsicht in die Natur und spricht aus tiefem Herzen über das, was ihn aktuell antreibt: «Um die Zukunft unseres Planeten zu sichern, müssen wir uns verändern. Dieser Wandel geschieht genau jetzt. Wir Architekten und Designer können jetzt Teil dieses Wandels sein. Er bietet die riesige Chance, neue Produkte und neue Architektur zu entwickeln.»

Stephan Hürlemann trägt mit seinen Entwürfen aktiv zu diesem Wandel bei. Mit Weitsicht macht er Nachhaltigkeit zum Kern seiner Arbeit: «Ich möchte immer bleibende Werte schaffen – das ist mir am wichtigsten. Ich möchte Produkte und Räume kreieren, die eine lange Zeit halten.»

Weg von der Industrialisierung, hin zu Nachhaltigkeit

Mit Blick auf das Möbel-Design findet Hürlemann starke Beispiele, die seine Gedanken unterlegen. Die renommierten Design-Ikonen des letzten Jahrhunderts sieht er als Zeugen eines Zeitalters, dessen Ende gekommen ist: «Es ging darum, Produkte zu möglichst vielen Menschen nach Hause zu bringen und sie für die breite Masse erschwinglich zu machen. Heute sieht die Situation ganz anders aus. Die grösste Herausforderung, die wir heute haben, ist der Klimawandel und damit die Nachhaltigkeit. Wir sollten nicht einfach abermals einen Stuhl entwickeln, den es nicht braucht.»

«Der konstante Wandel ist Teil unseres heutigen Lebens. Damit müssen wir lernen umzugehen, sonst haben wir keine Chance.»

Blickt man auf das Arbeiten von Stephan Hürlemann, wird schnell klar: Es ist dieses ganzheitliche Denken, das ihn ausmacht. Seine Arbeiten sind oft systemisch und bilden ganze Produkt-Familien.  Hürlemann sieht Design und Architektur im System – immer als Teil eines grossen Ganzen und deswegen auch als gestaltende Kraft für die Gesellschaft. «In Zeiten wie diesen braucht es für mich einen guten Grund, um etwas zu produzieren. Die Entwürfe müssen mehr können oder ein Problem lösen. Schönheit allein, reicht mir nicht mehr aus.»

Vom Grossen zum Kleinen

Doch wie gelingt es Hürlemann, das «grosse Ganze» in seine Entwürfe zu bringen? Hürlemann blickt immer erst auf das System, den Kontext und darauf, welchen Ritualen wir nachgehen: «So weiss ich, dass es wirklich ein Bedürfnis gibt. Wenn ich ein Bedürfnis erkenne, überlege ich, was es alles braucht, um es zu stillen. In einem zweiten Schritt versuche ich eine Struktur zu entwerfen – wie eben in der Architektur. Im letzten Schritt designe ich die Details und die Form.»

«Es macht keinen Unterschied für mich, ob ich ein Architektur-Projekt konzipiere oder ein Produkt designe. Für mich ist immer die Frage, wie die einzelnen Teile zu einander in Beziehung stehen und wie sie verbunden sind.»

Von Ritualen zur logischen Architektur

Das ganzheitliche Denken macht es für Stephan Hürlemann möglich, Projekte und Produkte zu entwerfen, die unseren alltäglichen Ritualen im bestmöglichen Sinn entsprechen. Sie erfüllen ein echtes Bedürfnis und sind, weil immer im Kontext entworfen, intuitiv nutzbar: «Architektur muss man den Menschen nicht erklären. Man sollte von ihr geführt und unterstützt werden, ohne daran zu denken. Das gilt auch für Produktdesign: Wenn man auf ein Produkt eine Instruktion drucken muss, wie es zu benutzen ist, ist es nicht konsequent durchdacht.»

Magische Momente von Klarheit

Um das grosse Bild zu sehen, darf man die Dinge nicht nur von Nahem betrachten.  Hürlemann gelingt der Balance-Akt, indem er sich immer wieder Raum für Weite schafft: «Damit ich die ganzheitliche, überblickende Perspektive halten kann, versuche ich, wenn immer möglich im Kopf Distanz zu meiner Arbeit einzunehmen. Dabei hilft es mir, wenn ich mich physisch von meinem Arbeitsort entferne. Ich jogge, besuche ein Museum oder gehe raus in die Natur. Manchmal reicht es auch schon, wenn ich meinen Blick in die Ferne schweifen lasse. Es ist, als würde ich meine Gedanken auf eine Reise schicken.» 

«Wenn ich das Ganze aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachte, kann ich erkennen, wie die einzelnen Teile in Zusammenhang miteinander stehen. Ich sehe die Verbindungen und kann beurteilen, wo vielleicht etwas zu viel ist oder wo noch etwas fehlt.»

Kollaboration mit Sky-Frame

Das Schaffen von Distanz, das Einnehmen einer anderen Perspektive für mehr Klarheit, war auch der rote Faden für die Kollaboration mit Sky-Frame an der Milan Design Week 2019. Hürlemann kreierte für Sky-Frame die Kunst-Installation «A Piece of Sky« (s. Box): «Ich arbeite sehr gerne mit Sky-Frame zusammen, da es eine Firma ist, die bereit ist, Dinge neu zu denken. Nur so können innovative Ideen entstehen.»

Die Verbindung von Form und Struktur

In den Momenten von Klarheit entsteht für Hürlemann gutes Design – dann kommen die Funktion im Ganzen und Ästhetik zusammen. «Es gibt viele mögliche Antworten auf die Frage, was gutes Design ist. Das kann eine neue Idee sein, die auf intelligente Art ein Bedürfnis stillt – oder eine Sprache, welche die innere Schönheit eines Objektes erkennen lässt, das ist die eine Antwort.» 

«Für mich ist gutes Design immer Teil eines übergeordneten Systems, Teil einer grossen Geschichte. Ich bin überzeugt: Alles ist mit allem verbunden.»

Einfache Lösungen für komplexe Probleme finden

Schon als Kind gehörte das knobeln und Rätsel lösen zu den liebsten Beschäftigungen von Stephan Hürlemann. Die analytische Fähigkeit verhilft ihm heute zum Erfolg: «Ich mochte es schon immer, in komplexen Situationen eine Lösung zu finden. Gerade im Produkt-Design suche ich immer eine einfache Sprache für eine komplexe Anforderung. Das macht meine Arbeit aus.»

«Meine Hauptmotivation liegt darin, dass ich es wirklich liebe, einfach, simple Lösungen für komplexe Fragen zu finden.»

Doch das wahre Erfolgsgeheimnis liegt für Hürlemann vielleicht auch hier in der Kombination von Struktur und Ästhetik: Auch Musik gehört zu den grossen Leidenschaften von Hürlemann. Ob als Musiker oder als Designer der Lautsprecher eines renommierten Zürcher High-End Herstellers: «Musik war schon immer Teil meines Lebens. Ich war früher auch Teil eines Band-Projektes. Das ist eine andere Parallele zu meiner heutigen Arbeit. Gerade Architektur- und Designprojekte kann man nicht allein realisieren. Ein gutes Zusammenspiel zwischen den Kunden, Planern, Lieferanten, meinem Team und mir ist essenziell. Wenn wir komplexe Projekte realisieren, fühlt es sich immer ein wenig an, als würden wir in einer Band spielen.» 

Das Schaffen von Distanz ist eine Kern-Idee hinter der Kunst-Installation «A Piece of Sky», welche Stephan Hürlemann für Sky-Frame zur Ausstellung an der Milan Design Week von 2019 entwickelt hat. Hürlemann: «Die Installation besteht aus einem Spiegeltunnel. Man betritt diesen kleinen Raum des Tunnels und durch die Optik eröffnet sich vor einem ein unendlich grosser Raum. Es fühlt sich an, als würde man aus dem Weltall auf die Erde, auf seine eigene Existenz auf diesem Planeten blicken. Im besten Fall führt diese dramatische Distanz zu einem magischen Moment von Klarheit.» 

 

 

Stephan Hürlemann ist in Urnäsch, Appenzell Ausserrohden, geboren und aufgewachsen. Er studierte an der ETH Zürich Architektur. Nach dem Studium arbeitete Hürlemann während sechs Jahren an der Seite von Hannes Wettstein. Nach dessen Tod entwickelte er sich zum kreativen Kopf des Studios. Über die letzten 12 Jahre realisierte Hürlemann mit seinem Team über 60 Design-Konzepte. Beispiele seiner Arbeiten sind die modulare Sofa-Familie DS-21 für De Sede (2016), die Türgriff-Kollektion Appenzell für Glutz (2018) oder das flexible Trennwand-System «Dancing Wall» für Vitra (2018).

 

 

Das Studio Hürlemann entwickelt Innen-Architektur, Möbel, Produkte und Installationen. Das Spektrum reicht von der dynamischen Arbeitsumgebung, über Stühle bis hin zum Markenerlebnis. Zu den Kunden gehören u.a. SBB, Hermès, PwC, Horgenglarus, UBS und Vitra.