November 2024
Referenz
Das Haus als Gesamtkunstwerk
Eine Sage erzählt, dass dort, wo heute der Wörthersee liegt, einst vor hunderten von Jahren eine Stadt voller prächtiger Häuser stand. Ihre Bewohner fühlten sich durch ihren Reichtum geblendet und liessen sich am Vorabend des Osterfestes zu einem ungezügelten Gelage hinreissen. Trotz den wiederholt mahnenden Worte eines eisgrauen Männleins hielt die Gesellschaft nicht inne und es kam, wie es kommen musste. Mit dem zwölften Glockenschlag um Punkt Mitternacht öffneten sich die Himmelsgestade und die Stadt samt ihren frevelnden Bewohnern verschwanden in unergründlichen Wassermassen und es entstand der Wörthersee. Man sagt, dass Fischer noch heute an stillen Sommerabenden auf dem See ein Klingen und Läuten vernehmen. Diese Sage lehrte die Menschen Demut. Mitten in dieser himmlisch gestalteten Landschaft von Kärnten, in der südöstlichen Ecke von Österreich, liegt Pörtschach. Es mag nicht erstaunen, dass die Schönheit des Wörthersees seit Jahrhunderten Menschen aus allen Ecken des Landes angezogen hat. So entstanden bereits um 1900 an den Ufern des klimatisch warmen Alpengewässers unzählige Villen, die vor allem von Architekten aus der Hauptstadt Wien entworfen wurden. Noch heute kennt man diese repräsentativen Bade- und Bootshausbauten unter dem Namen Wörthersee-Architektur.
Die grossen Gesten
An diesem schönen Flecken Erde fand ein Ehepaar für sich und ihre drei Mädchen einen perfekten Bauplatz. Die Aufgabe, ihr Traumhaus zu bauen, legte die Familie in die Hände des renommierten Architektenteams von Project A01. Das Wiener Büro, dass Andreas Schmitzer 1997 gegründet hat und seit 2001 zusammen mit Maria Planegger erfolgreich führt, hat sich in den letzten Jahren einen Namen mit aussergewöhnlichen Einfamilienhausprojekten gemacht. Gross geworden ist Project A01 mit der Gestaltung von Innenräumen. Heute liegt der Schwerpunkt im Hochbau, angefangen von kleineren Wohnprojekten bis hin zu städtebaulichen Aufgaben. Aktuell entsteht in Wien ein Wohnturm mit 500 Wohneinheiten, das drittgrösste reine Wohnhochhaus Europas. Andreas Schmitzer und Maria Planegger legen Wert auf eine ganzheitliche Planung. "Wir betrachten nicht nur das Bauwerk als solches, sondern ziehen die Innenraumgestaltung inklusive Teile der Möblierung von Beginn weg in unsere Entwurfsgedanken mit ein. Unser Ziel ist, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen", führt das Duo aus.
Über eine geschwungene, leicht ansteigende Zufahrt vorbei an einzelnen Obstbäumen und gestaffelt gesetzten Hecken wird man gemächlich zum Haus geführt. "Auf diesem Weg kann man den Alltag aussen vor lassen", beschreibt Maria Planegger, die als zuständige Architektin von Project A01 den Bau vom Entwurf bis zur Schlüsselübergabe begleitete. Mit der Gestaltung des Gartens mit Wegführung und Bepflanzung thematisieren die Architekten ganz bewusst diese Geste des Ankommens. Ob zu Fuss, mit dem Fahrrad oder dem Auto, von der Auffahrt gelangt man zu einem geschützten, mit mediterranem Muschelkalk ausgelegten Vorplatz, der zwischen Nebengebäude mit Einliegerwohnung, Abstellraum sowie Garage und dem eigentlichen Wohnhaus aufgespannt ist. Das Dach aus speziell gefertigten Faserzementplatten, die eine Stärke von nur 13 Millimeter aufweisen, liegt auf einem massiven Sockel aus Naturstein und faltet sich behutsam über die beiden Volumen. Dort wo sich die Dachfläche über die Fenster im Obergeschoss schiebt, wurden die Platten perforiert und teilweise hinterleuchtet. Ein umlaufendes, unterschiedlich dimensioniertes Fensterband lässt den Eindruck entstehen, dass das dynamisch geformte Dachvolumen über dem Terrain und dem massiven Erdgeschoss zu schweben scheint.
Leben in und mit der Landschaft
Früher stand das Gebäude im hinteren Teil des länglichen Grundstücks und die Sicht auf den See blieb den ehemaligen Bewohnern verwehrt. Heute haben die Architekten ihren Entwurf auf eine kleine Hügelkuppe gesetzt. Auf dem Vorplatz stehend erlebt man erstmals, was sich durch die gesamte Architektur zieht: die vielschichtigen Durch-, Ein- und Ausblicke ins und durchs Haus sowie in die Landschaft. Durch das seitlich verglaste Eingangsportal spürt man umgehend die Präsenz des Wassers. Weiter wird der Blick durch dreieckig angeordnete Gläser in der Dachhaut in den Himmel gelenkt. In der zweigeschossigen Vorhalle stehend wird man magisch vom Licht und der Aussicht auf den Wörthersee angezogen. Der Raum öffnet sich, die Wände klappen seitlich auf. Auch die feingliedrige Stahltreppe hinauf ins Schlafgeschoss ist so konstruiert und materialisiert, dass der Blick ungehindert hindurch schweifen kann. Vorbei an den dienenden Räumen wie Garderobe, Wirtschaftsraum und Toilette tritt man über drei Stufen hinunter in den einladenden Wohnbereich. Im Gegensatz zur Bibliothek und teilweise auch der Küche ist die gute Stube mit offenem Kamin und Essbereich offen gestaltet. "Der Raum wird höher und das spektakuläre Panorama entfaltet sich vollständig vor dem Betrachter", zeigt sich Maria Planegger selber beeindruckt. Das Schiebefenstersystem Sky-Frame, dass durch seine grossflächigen Glasfronten mit fein dimensionierten Rahmen überzeugt, lässt sich über beinahe die gesamte Breite elektronisch öffnen und holt so die Landschaft in den Wohnraum. Innen und aussen verschmilzen. Die Familie erlebt intensiv aus der sicheren Warte ihres gebauten Nestes die Natur mit ihren vier Jahreszeiten.
Auch in der oberen Etage mit den drei Zimmern für die Mädchen, einem Gästebereich sowie dem grosszügigen Masterbedroom der Eltern, inklusive Ankleide, zeigt sich der sorgsame Umgang der Architeken mit Materialien und Farben. Jedes Detail ist perfekt konstruiert. Bewusst wurde in den Innenräumen, die jeder für sich direkte Seesicht aufweisen, auf zeitlose und langlebige Materialien gesetzt. Der Schiffsbaucharakter ist dezent spürbar. Neben den geölten astfreien Eichendielen, die sich wie bei einem Boot durchs ganze Haus ziehen, sind die Decken teilweise Holz beplankt. Bei der Möblierung wurde ebenfalls nichts dem Zufall überlassen. Die zahlreichen Einbauschränke sowie sämtliche Betten sind massgefertigte Tischlermöbel, die mit wellenartigen Dessins bedruckten Stoffen überzogen wurden und sich perfekt ins Ambiente fügen. Mit dem Thema der Welle nehmen die Architekten die Nähe zum See auf. Auch der Steinmetz war beinahe ein Jahr vor Ort und verlieh jedem mit Naturstein gestalteten Bad inklusive speziell gefrästen Waschtischen eine persönliche Note. Stein und Holzdielen stehen in einem spannenden Kontrast. Und das Tüpfelchen aufs i sind die verchromten Türgriffe, welche die Form des Hauses aufnehmen. All diese individuell gestalteten Elemente erzählen eine eigene Geschichte.
Sitzt wie ein Massanzug
Vor dem kompakt gebauten Haupthaus mit 300 Quadratmeter Wohnfläche spannt sich eine mediterran anmutende Gartenlandschaft mit unterschiedlichen Niveaus auf. Je nach Lust und Laune können sich die Bewohner ihren Lieblingsort aufsuchen. Sowohl über den grosszügig zu öffnenden Wohnbereich, als auch über einen seitlichen Weg um das Haus oder über eine wie eine Gangway gestaltete Aussentreppe, von der man direkt von sämtlichen Schlafräumen in den Garten hinunter steigen kann, tritt man auf die oberste Terrasse mit Abendsonne. Unter einer Pergola, die sich wie eine Welle aus dem Boden erhebt, kann man im Schatten die Aussicht auf den See geniessen. Diese elegante Metallkonstruktion wird mit den Jahren Schritt für Schritt zuwachsen. Über eine im Rasen eingelegte Massivsteintreppe erreicht man den am Ufer liegenden Badebereich. Ein schlichtes Bootshaus aus Holz mit eigenem Steg, der vorbei am üppig gewachsenen Schilfgürtel direkt in den See hinaus führt, sowie ein elegantes, in den Hang eingearbeitetes Badehaus mit schiffartiger Teeküche und Sauna bilden einen inspirierenden Ort für die Familie und ihre Gäste, wo man fern vom Alltag ausspannen kann.
Am Seehaus in Pörtschach haben die Architekten ihre oberste Entwurfsprämisse, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, bis ins letzte Detail umsetzen können. Damit dies möglich wurde, brauchte es eine Bauherrschaft, die einerseits den Architekten vertraute und andererseits in einem ständigen Dialog optimal mit diesen zusammenarbeitete. Weiter suchte man frühzeitig den Kontakt zur Gemeinde. Die Diskussionen mit der zuständigen Ortsbildkommission, die unter anderem aus Architekten und Historikern bestand, verliefen überraschend konstruktiv und reibungslos. "Die Gemeinde zeigte sich aufgeschlossen und war enorm kooperativ", erinnert sich Maria Planegger. Entstanden ist ein Gebäude, das auf den ersten Blick futuristisch und abgehoben anmutet, auf den zweiten aber mit der Landschaft im Zwiegespräch steht. “So zeitgemäss das Haus von aussen gestaltet ist, so gemütlich präsentiert es sich von innen. Es wirkt überhaupt nicht kühl, den schiffartigen Charakter fühlt man in allen Räumen”, sagt die Architektin. Das Haus vereint auf perfekte Weise die Bedürfnisse und Wünsche der fünfköpfigen Familie mit den Vorgaben der Gemeinde und des Ortes. Ein Blick in die Landschaft rund um den Wörthersee genügt und man spürt die Dankbarkeit, hier leben zu dürfen. Und man wird still und hört wieder das Klingen und Läuten, das aus den Tiefen des Sees aufsteigt.